Wolfgang Sitte (Salzburg)
Manuskript abgeschlossen Februar 1998. Der Artikel erschien in der vom Bundesministerium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten in Wien herausgegebenen Zeitschrift WISSENSCHAFTLICHE NACHRICHTEN Nr. 107 – April 1998.

 

Wirtschaftserziehung

Einleitung

Wirtschaftserziehung als Teil einer modernen Allgemeinbildung

Der Gegenstandsbereich der Wirtschaftserziehung

Abschließende Bemerkung

Literaturkartei

 

1. Einleitung

Erst das Schulgesetzwerk 1962 verschaffte dem Lernbereich Wirtschaft einen festen Platz im allgemeinbildenden Schulwesen Österreichs, nachdem der Versuch, ihn als Pflichtfach nach dem Ersten Weltkrieg einzuführen, gescheitert war (TESAR 1932). Die 1962 vom Gesetzgeber angeordnete Schaffung des Gegenstandes Geographie und Wirtschaftskunde brachte zwar eine ganze Reihe von Problemen (die Ausbildungsfrage der Lehrer ist bis heute nicht befriedigend gelöst), löste in der Folge dann aber letztendlich den großen Paradigmenwechsel dieses Unterrichtsfaches in den allgemeinbildenden Schulen aus, der seine Aufwertung brachte. Allerdings ist damit nicht gesagt, daß die errungene Position des Faches GW auf Dauer bestehen bleiben muß. In einer Zeit starker gesellschaftlicher, ökonomischer, technischer aber auch pädagogischer Veränderungen wird es an den Lehrern und Fachdidaktikern liegen, auf sie zu reagieren und der Öffentlichkeit zu zeigen, welchen Beitrag der nach einem Handlungskonzept strukturierte Geographie und Wirtschaftskunde - Unterricht (W. SITTE 1998) bei der Qualifizierung der heranwachsenden Generation für .das Leben in einer wirtschaftbestimmten demokratischen Gesellschaft hat.

2. Wirtschaftserziehung als Teil einer modernen Allgemeinbildung

Die Wirtschaft ist ein sehr wichtiger Ausschnitt aus der Wirklichkeit des Menschen. Sie bestimmt weitgehend, wenn auch nicht ausschließlich, das Leben und die Politik in unserer immer komplexer werdenden Welt. Wer das leugnet, sieht nicht die Wirklichkeit oder er verschließt sich absichtlich vor ihr. Ob als Konsument unter dem Einfluß der Werbung, als Suchender auf dem Arbeitsmarkt bzw. Wohnungsmarkt oder als Bürger, der zu Volksbefragungen und zu Wahlen aufgerufen wird, immer wieder muß der Bürger in seinem Alltagsleben Entscheidungen treffen, die mit Wirtschaft direkt oder indirekt zu tun haben. Wenn Schule, wie es in dem bekannten lateinischen Spruch heißt, für das Leben vorbereitet, dann muß sie die heranwachsende Generation zur mehrdimensionalen Wirtschaftswelt hinführen. Es ist deshalb eine ihrer Aufgaben, jeden für seine Rolle als Konsument, Sparer, Steuerzahler, Haushaltsmittglied, für die Rolle des die Wirtschaftspolitik beurteilenden Wählers, für die Rolle des seine Arbeitskraft verkaufenden Arbeitnehmers, für die Rolle des Adressaten der Freizeitindustrie etc. entsprechend vorzubereiten. Dabei geht es nicht um verkürzte Lehrbuchdarstellungen der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre (die AHS bildet weder Schmalspur-Betriebs- noch Schmalspur-Volkswirte aus) , nicht um die bloße Vermittlung von abprüfbarem Faktenwissen, das man jederzeit nachschlagen oder aus dem PC abrufen kann (z.B. Wirtschaftsdaten und Definitionen) oder um wirtschaftsberufliches Spezialwissen (z. B. über das betriebliche Rechnungswesen) - letzteres machen die dafür eingerichteten besonderen Schulen und Ausbildungslehrgänge - , sondern es geht darum, die Heranwachsenden zu überlegt handelnden "Wirtschaftsbürgern" zu erziehen, welche die ökonomischen Bedingungen ihrer Existenz und deren soziale und politische Dimension reflektieren können und zwar sowohl auf der privaten wie betrieblichen, auf der volkswirtschaftlichen und der globalen Ebene. Diese Qualifikation ist wichtig für die individuelle Entfaltung und persönliche Lebensbewältigung der Menschen und auch notwendig für das Fortbestehen unserer demokratischen, arbeitsteiligen Gesellschaft. Daher muß Wirtschaftserziehung heute ein zentraler Bestandteil einer zeitgemäßen Allgemeinbildung etwa im Sinne KLAFKIS (1985) sein und in allen Schulen, die sich um deren Vermittlung bemühen, entsprechend erfolgen.

3. Der Gegenstandsbereich der Wirtschaftserziehung

Konsumökonomie

Gesellschaftsökonomie

Berufs- und Arbeitsökonomie

 

Wirtschaftserziehung in den allgemeinbildenden Schulen umfaßt drei große, miteinander verflochtene und die Schüler in ihrer gegenwärtigen sowie zukünftigen Betroffenheit direkt angehende Handlungsbereiche: Die Konsumökonomie, die Berufs- bzw. Arbeitsökonomie und die Gesellschaftsökonomie. In allen drei sind an ökonomischen Aktivitäten erstens kognitive Strukturen zum Verstehen wirtschaftlicher Tatbestände und ablaufender Prozesse einschließlich der Interdependenz mit gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen aufzubauen und zweitens, ohne zu indoktrinieren, handlungssteuernde Einstellungen für Entscheidungs- und Bewältigungsprozesse anzubahnen.

3.1. Zur Konsumökonomie

Im Zentrum dieses Handlungsbereiches steht die Verbrauchererziehung. Ihr kommt in unserer ganz auf den Absatz hin orientierten Konsumgesellschaft eine wichtige pädagogische Aufgabe zu. Die nach dem Zweiten Weltkrieg über die "Freß-, Bekleidungs-, Haushalts-, Wohn-, Sport- und Reisewelle" der Konsumenten stark angewachsene Nachfrage nach Gütern begann im Laufe der Zeit gewisse Sättigungstendenzen zu zeigen. Angesichts dieser (und um Beschäftigung und Einkommen zu sichern) ging man dazu über, immer kurzlebigere Sachgüter herzustellen, propagierte die "Wegwerfgesellschaft", erzeugte künstliche Obsolenz durch raschen Modellwechsel sowie technischer Weiterentwicklung der Produkte bzw. modische Effekte. und kreierte immer kostspieligere Freizeitmöglichkeiten. Psychologisch ausgefeilte (zum Teil auch aggressive) Werbemethoden verführen immer stärker zum Kaufen. Neue Bedürfnisse werden geweckt. Kredite werden schnell vergeben. Mann und Frau erwerben Güter, die sie nicht wirklich benötigen. Auflagenstarke Buntillustrierte und quotenträchtige Fernsehsendungen propagieren mit Leitfiguren eine hedonistische Lebensauffassung. Diese droht aber nicht nur jenes Wertesystem zu unterhöhlen, das die Grundlage für den allgemeinen Wohlstand der Industriestaaten und die vielfältigen Konsummöglichkeiten legte, sondern hat auch einen maßgeblichen Anteil an der Verschuldung vieler Einzelpersonen und Familien, die dadurch in schwere existenzbedrohende Krisen schlittern.

Verbrauchererziehung darf nicht bloß auf ein paar einzelne Unterrichtsstunden beschränkt sein, sondern sollte in den Schulen der 10-18jährigen von der 1. Klasse an aufsteigend und womöglich in jeder Schulstufe immer wieder an neuen Gegebenheiten planmäßig betrieben werden. Sie hat von exemplarisch ausgewählten Alltagssituationen, die der jeweiligen Altersgruppe geläufig sind oder in ihrem Erlebnisbereich liegen, auszugehen und in Form eines Spiralcurriculums mit zunehmender Komplexität ökonomisches Handeln privater Haushalte zu thematisieren. Verbraucherentscheidungen beim Kauf von Sachgütern und Dienstleistungen sind auf Präferenzen (Wünsche und Ziele inklusive der auf sie einwirkenden physischen und psychischen Einflüsse) und auf Beschränkungen bzw. Zwänge (finanzielle, soziale sowie durch marktpolitische Maßnahmen bedingte) zu untersuchen und die sich daraus ergebenden möglichen Konsequenzen zu reflektieren. Hierbei sind in angemessener Weise neben der sozialen auch die ökologische Verantwortlichkeit der Konsumenten in die Verbrauchererziehung miteinzubeziehen. Erhält doch angesichts der Überflußproduktion in den Industriestaaten und des Sichtbarwerdens von Grenzen des Wachstums die Frage "Was braucht der Mensch, um glücklich zu sein?" lebenswichtige Bedeutung. Lebensqualität ist mehr als Lebensstandard und sollte deutlich bewußt gemacht werden. Auch rechtliche Möglichkeiten sowie Einrichtungen der Verbraucherberatung sollen die Schüler im Zusammenhang mit ihrem unterrichtlichen Tun bei den einzelnen Beispielen kennen lernen.

Soweit zum Verständnis notwendig, sind im Handlungsbereich der Verbrauchererziehung bei den einzelnen Themen anwendungsbezogen auch Funktionen und Begriffe der modernen Geldwirtschaft (die Entstehung des Geldes überlasse man der Volksschule und dem Fach Geschichte und Sozialkunde) zu erarbeiten. Hier hat in der Sekundarstufe I vor allem der unmittelbare Gebrauchswert Auswahlkriterium zu sein. Selbstverständlich kann die Schule allein nicht den sinnvollen Umgang mit Geld vermitteln, da müssen die Eltern schon über das Taschengeld und durch ihr Vorbild mitwirken. Die Schule sollte jedoch nicht nur die Frage behandeln, wann ist es günstiger bar zu zahlen, wann anzusparen, wann auf Raten zu kaufen, sondern u.a. sich auch mit der Funktionweise der Banken beschäftigen. Dabei wäre aufzuzeigen, was diese mit den Spareinlagen machen? wie sie ihr Geld verdienen? aber ebenso wie sie mit Geschenken, Clubs und Events um die jungen Kunden werben. (30 Prozent der 14jährigen, 50 Prozent der 16jährigen und 90 Prozent der 19jährigen unterhalten in Deutschland ein laufendes Konto - K. ARNDT 1997, in Österreich werden es nicht viel weniger sein). Man untersuche einmal mit den Schülern die von den Geldinstituten herausgegebenen Kinder- und Jugendzeitschriften hinsichtlich der dort zu findenden raffiniert verpackten Cash-Tips und verlockenden Play-Hits, um das bewußt zu machen. In der Sekundarstufe II wird man zum besseren Verstehen mancher Erscheinungen und Vorgänge der Geldwirtschaft diese erweitern und vertiefen, sich u.a. mit dem Zahlungsverkehr, mit Problemen bei Kontoüberziehungen, den Vorteilen und Risken verschiedener Anlegeformen, mit Währungsfragen, dem Geschehen an der Börse oder auf den Devisenmärkten beschäftigen. Aufschlußreich und ganz im Sinne der Politischen Bildung wäre auch das beispielhafte Aufzeigen der Macht und des Einflusses der großen Banken anhand solcher Fälle, die Tagesgespräch sind, etwa im Zusammenhang mit großen Bauprojekten, Fusionen, Firmenzusammenbrüchen und -übernahmen. Dabei können auf lebendige Weise exemplarisch viele Grundbegriffe und wesentliche allgemeine Einsichten erarbeitet werden. Freilich wird man dazu die Informationen nicht aus dem Schulbuch, sondern aus mehreren und verschiedenen aktuellen Medien sammeln, abwägen und aufbereiten müssen.

3.2 Zur Berufs- und Arbeitsökonomie

Ausbildungs- und Berufswahlentscheidungen gehören zu den wichtigsten Entscheidungen im Leben jedes Menschen. Während die primäre Ausbildungsentscheidung im allgemeinen von den Erziehungsberechtigten getroffen wird, rücken spätere Ausbildungs- und Berufswahlentscheidungen immer stärker (und häufiger) in den Verantwortungsbereich des davon Betroffenen. Schule hat deshalb darauf vorzubereiten. Dabei muß aber allen Beteiligten klar sein, daß der jeweilige Entscheidungsprozeß nicht als einmaliger Akt zu verstehen ist, sondern als ein langfristiger, von verschiedenen Faktoren beeinflußter Vorgang. Da genügt es nicht, in der Abschlußphase der Sekundarstufe I bzw. II nur ein paar Stunden damit zu füllen.

Der ökonomisch-technische Wandel in unserer Zeit prägt nicht nur die Lebensbedingungen im privaten Bereich, sondern verändert nachhaltig auch die gesamte Arbeitswelt. Traditionelle Beschäftigungen verlieren an Bedeutung oder verschwinden ganz. Neue Berufe, Produktionsweisen und Organisationsformen der Arbeit entstehen. Die dafür notwendigen Qualifikationsanforderungen sind nicht mehr so leicht überschaubar wie diejenigen vieler herkömmlicher Berufe. Im Gegensatz zu früher wechselt ein nicht unbeträchtlicher Teil der Beschäftigen im Laufe ihres Lebens mehrmals den Arbeitsplatz und Beruf. Wer den Qualifikationsanforderungen aber nicht entspricht, muß damit rechnen, keine Beschäftigung mehr zu finden oder in "Mc-Jobs" zu stranden.

Wenn im Handlungsbereich Berufs- und Arbeitsökonomie Ausbildungs- und Berufswahlentscheidungsfragen behandelt werden, ist die Voraussetzung dafür, zuerst einmal die Arbeitswelt für die Schüler transparent zu machen Dabei geht es nicht um berufliches Fachwissen, dessen "Halbwertzeit" immer kürzer wird, sondern zunächst um die Einsicht in die Veränderbarkeit von Arbeit und Beruf und die sich daraus für den einzelnen aber auch die Gesamtwirtschaft ergebenden Konsequenzen, also sowohl um den persönlichen als auch den volkswirtschaftlichen Stellenwert des Berufs. Schüler sollen vor allem erkennen, daß unqualifizierte Arbeitskräfte gewöhnlich die ersten sind, die entlassen werden, aber auch welche Bedeutung im globalen Wirtschaftswettkampf entsprechend Qualifizierte für eine Volkswirtschaft haben. Man wird sich also nicht so sehr mit betrieblichen Produktionsprozessen und Organisationsformen beschäftigen (obwohl solche natürlich den Hintergrund bilden), sondern ganz allgemein mit der Frage nach den erforderlichen Qualifikationen sowohl für handwerkliche, industrielle oder Dienstleistungsberufe, welche voraussichtlichen Zukunftsaussichten sie haben, welche weitere Bildungswege es nach dem Schulabschluß gibt und welche Anforderungen diese stellen. Schüler sollten sich aber auch mit Fragen nach dem Ethos der verschiedenen Berufe und nach möglicher Sinnerfüllung bei ihrer Ausübung auseiandersetzen und herausfinden, wo ihre eigenen Interessen liegen.

Im diesem Zusammenhang gewinnen die sogenannten "Schlüsselqualifikationen" an Bedeutung. Der Begriff wurde schon 1974 von D. MERTENS geprägt, später aber mehrfach modifiziert und weiterentwickelt (siehe R. DÖRIG 1995). Sie sind die Antwort auf die neuen Anforderungen einer sich ständig wandelnden Arbeits- und Berufswelt. Funktions- und berufsübergreifend sollen sie zur Bewältigung neuer Situationen befähigen und damit den Zugang zu einer Vielzahl von arbeitsweltlichen Aufgaben und Positionen vermitteln. Sie schließen Selbst-, Methoden- und Sozialkompetenz ein und nehmen somit den ganzen Menschen in den Blick. Bei der Aufzählung der Kompetenzen werden u. a. meist genannt: Selbständigkeit und Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung, Kreativität, Flexibilität, Bereitschaft zu lebenslangem Lernen, Fähigkeit zur Aufnahme relevanter Informationen, kritisches und analytisches Denken, Planungsfähigkeit, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, Fähigkeit zur rationalen Austragung von Konflikten. Schlüsselqualifikationen können nicht "gelehrt" werden. Sie müssen den Heranwachsenden didaktisch aufbereitet über einen entsprechend gestalteten handlungsorientierten Unterricht exemplarisch in möglichst vielen Schulfächern bewußt gemacht werden. Betriebs- und Berufserkundungen, Berufsmessen, Teilnahme als Gast bei Fach- und Hochschulveranstaltungen sowie Expertenbefragungen, Projekte und didaktische Spiele helfen dabei. Die Fokussierung all dieser Bemühungen aber hat im Trägerfach der Wirtschaftserziehung zu erfolgen, das die Frage der Berufsorientierung nicht nur personenbezogen behandelt, sondern in die gesellschaftliche und ökonomische, regionale und globale Entwicklung einbettet.

 

3.3 Zur Gesellschaftsökonomie

Hier geht es um das Offenlegen gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge und Prozesse, die sich in Österreich, in Europa oder international ereignen und die unser Leben und Wirtschaften beeinflussen, und damit um die ökonomische Orientierung des Normalbürgers in der heutigen global verflochtenen Gesellschaft. Es ist klar, daß es dabei zwischen der Sekundarstufe I und II Zugangs- und natürlich auch gewisse Inhaltsunterschiede gibt. Man handle aber nicht so wie die Erzieher im 19. Jahrhundert, welche die 10-14jährigen für die Sexualaufklärung noch nicht reif erklärten. Die Gründe kennen wir. Man wollte Sexualität tabuisieren. Wollen wir das für den Bereich der Wirtschaft auch? Zugegeben, die Themen der Gesellschaftsökonomie sind komplex. Deshalb kommt es besonders auf ihre didaktische Aufbereitung an. Sind die Themen aber situativ, altersgemäß elementarisiert und werden entsprechend medial unterstützt, dann kann man auch Jugendliche der Sekundarstufe I für Wechselkurs-, Arbeitslosigkeit-, Budget- oder andere gesamtwirtschaftliche Themen soweit interessieren, daß sie beginnen, in diesem Zusammenhang Fragen zu stellen. Etwa: Warum mußten wir bei unserem London-Aufenthalt 21 Schilling für ein Pfund bezahlen? Wieso wurde die Textilfirma, in der meine Mutter arbeitete, geschlossen? Stimmt es, daß ich, obwohl ich kein Geld verdiene, auch Steuern zahle? Weshalb darf mein Onkel aus Konya nicht im Gemüsegeschäft meines Vaters auf dem Naschmarkt arbeiten? Man lasse zum Beispiel die. (wo es möglich ist) im Kreis sitzende Klasse zu der jeweils aufgrund eines Lehrerimpulses ausgelösten, obigen Schülerfrage sich zunächst einmal frei äußern ohne einzugreifen. Die spontan gebrachten Antworten (Vermutungen und Behauptungen) hält man auf OH-Transparentkärtchen fest, ordnet sie nach bestimmten Gesichtspunkten, etwa nach ihrer von der Klasse vermuteten Bedeutsamkeit und untersucht sie dann mit Unterstützung medialer Informationen etwas näher, wobei der durch die Ausgangsfrage aufgegriffene besondere Fall zu einer grundlegenden gesellschaftsökonomischen Einsicht hinführen soll.

Auf der Sekundarstufe II kann man ruhig höhere kognitive Anforderungen an die Schüler stellen. Erstens hat ihre Lebenserfahrung zugenommen und zweitens müßten sie doch gewisse ökonomische Vorkenntnisse und Einsichten aus der S I mitbringen. So sollten Maturanten allgemeinbildender Schulen unter anderem die Hauptprobleme der europäischen Integration erfaßt haben, Bescheid wissen über Grundprinzipien von Wirtschaftsordnungen und ihre Umsetzungen in der gesellschaftlichen Realität, Träger, Ziele sowie wichtige Instrumente der Wirtschaftspolitik kennen, in der Lage sein, zu bestimmten in den Medien erörterten Fragen der Weltwirtschaft (etwa zu Zusammenhängen von Finanz-, Realkapital und Arbeit) Stellung zu nehmen. Dabei sollten Probleme aus möglichst unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden. Auch ist es durchaus sinnvoll, wenn die Sekundarstufen II-Schüler Aussagen theoretisch reflektieren bzw. kritisch mit Modellentwürfen konfrontieren. Wirklichkeit kann mit Hilfe von Denkmodellen und Konstrukten. oft leichter verstanden werden. Traditionelle Tests, welche die bloße Wiedergabe von Fakten verlangen, sind durch anwendungsorientierte Prüfungen zu ersetzen. Wichtig ist, sich aber immer vor Augen zuhalten, daß es im Bereich der schulischen Gesellschaftsökonomie vor allem darum geht, an konkreten handlungsorientierten Beispielen bei der heranwachsenden Generation Verständnis für die um sie ablaufenden und sie berührenden wirtschaftlichen Vorgänge zu entwickeln.

 

4. Abschließende Bemerkung

Der 1962 uns erteilte Auftrag ist ein Erziehungsauftrag. Erziehen wir daher die jungen Menschen, daß sie sich für bedeutungsvolle gesellschaftsrelevante ökonomische Sachverhalte und Vorgänge interessieren und daß sie Wirtschaftsfragen in den Medien die entsprechende Beachtung schenken. Machen wir sie weiters fähig, daß sie die dort angebotenen Informationen verstehen, hinterfragen und im Erkennen gegensätzlicher Interessen und Abwägen widersprüchlicher Aussagen auch kritisch verarbeiten können. So werden diese jungen Menschen in der Lage sein, sich ein eigenes Urteil für ihr Handeln zu bilden, und kommerzielle wie auch politische "Trommler" haben es dann nicht mehr so leicht, sie zu verführen.

5. Literaturhinweise:

ARNDT, K. (1997): Geld fällt nicht vom Himmel. Wie Kinder lernen mit Geld umzugehen. Ravensburg. - CLAAR, A. (1990): Die Entwicklung ökonomischer Begriffe im Jugendalter: Lehr- u. Forschungstexte Psychologie, hg. von D. Albert u.a. Berlin-Heidelberg. - DÖRIG, R. (1995): Schlüsselqualifikationen - Transferwissen und pädagogische Denkhaltung. In: Z. f. Berufs- u. Wirtschaftspädagogik 91, H.2. - GELDNER, I. (1986): Wirtschaftskunde in Fußnoten. In: Geographie und Wirtschaftskunde - Unterricht in Österreich Mitte der achtziger Jahre. In: GW-UNTERRICHT Nr. 23, red. v. H. Wohlschlägl u. Ch. Sitte. - GOETZ, K. (1995): Wirtschaftskunde - Bereich oder Bereicherung der Schulgeographie? Wien. - GRUSCHKA, A. (1996) : Ein Gespräch mit D. Goeudevert über "Wirtschaft, Pädagogik, Mündigkeit.". In: Wozu Pädagogik?, hg. von A. Gruschka. Darmstadt. - KAMINSKI, H. (1994): Der Gegenstandsbereich der ökonomischen Bildung. In: a+l/Wirtschaft, Nr. 14 und Nr. 15. - KAMINSKI, H. (1986): Arbeit und Ökonomie. Aus "Lernbereich Gesellschaft" in Enzyklopädie Erziehungswissenschaft, Bd. 3. Stuttgart. - KLAFKI, W. (1985): Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Weinheim. - KNAPP, H. (1979): Wider den ökonomischen Analphabetismus. In: Wissenschaftliche Nachrichten Nr. 51, Wien.- MALCIK, W. (1986): Wirtschaftskunde im Rahmen der Schulgeographie. Chancen und Probleme einer österreichischen Entwicklung aus schulrealer Sicht. In: K. Husa, Ch. Vielhaber, H. Wohlschlägl (Hg.), Beiträge zur Didaktik der Geographie, Bd. 2. Wien.- MAY, H. (1994): Ökonomie für Pädagogen. 2. Auflage. München. - RENZ, M. (1991): Wirtschaft als Lernbereich der Allgemeinbildung in den EG-Mitgliedsstaaten. In: a+l/Wirtschaft, Nr. 4.- SCHNEIDER, W. (1987): Wirtschaft - ein Trauma der österreichischen Schule? In: Schule, Berufsbildung, Wirtschaft. NÖ-Schriften 8 - Dokumentation einer Enquete am 18. März 1987. - SITTE, W. (1998): Entstehung und Konzeption des Unterrichtsfaches Geographie und Wirtschaftskunde. In: W.SITTE und H. WOHLSCHLÄGL (Hg.): Beiträge zur Didaktik des Geographie und Wirtschaftskunde - Unterrichts. (In Vorbereitung). - TESAR, L. E. (1932): Der volkswirtschaftliche Unterricht in Österreich. In: Monatsschrift für höhere Schulen, Bd. 31, Berlin.

 

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Zentrum für innovative Pädagogik
Autor: Wolfgang Sitte -
Zentrum für innovative Pädagogik an der Pädagogischen Akademie der Diözese Linz
Layout. Elke Wöß
Letzte Aktualisierung:   13. Jän 00

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